Gegen die Volksmacht

Thema: Kultur
Datum: Februar 2018
Einleitung und Übersetzung von: Enrique «El Perico» Mendoza
Text aus: Proletarios Internacionalistas

Der Linkspopulismus gegen die Revolution

Der vorliegende Text wurde im Jahr 2013 publiziert, hat aber leider nicht an Relevanz verloren. Denn viele selbsternannte Anarchist*innen oder Kommunist*innen, halten heutzutage den Dualismus zwischen Links und Rechts aufrecht, ohne die Notwendigkeit des Bruchs mit der Warengesellschaft und der Vielfalt der mit ihr verbundenen Unterdrückungsmechanismen auch nur im geringsten anzusprechen. Wo Michel Temer in Brasilien beispielsweise mit seiner potenzierten neoliberalen Politik, die internationalen und nationalen Interessen des Kapitals durchsetzt, schreien viele nach Dilma Rousseff bzw. Nach Lula, der trotz der Korruptionsskandale, sich an der Präsidentschaftswahl dieses Jahres beteiligen möchte. Als ob die Arbeiterpartei PT nicht die global Herrschende Produktionsform aufrechterhalten würde, als ob durch die Wahl des „kleineren Übels“ sich das Proletariat eine Verschnaufpause gönnen könnte um seine Kräfte zu sammeln und als ob die Almosen für ein Teil der ärmeren Schichten, tatsächlich die Armut beenden könnten. Ganz im Gegenteil: Linkspopulistische Parteien absorbieren die Kraft der sozialen Bewegungen, sie befrieden den Konflikt und schüren den Nationalismus und den Demokratiefetisch, was nichts anderes als eine Apologie des Bestehenden bedeutet und eine wirkliche Veränderung der Gesellschaft auf die Ewigkeit verschiebt.

Auch im Hinblick auf das zerrüttete Venezuela zögerten letztes Jahr viele „Revolutionär*innen“ nicht, sich auf die Seite Maduros zu stellen und wiederholten unkritisch die Propaganda der Regierung: Wer gegen die Regierung protestiert gehört zu einer Rechten Mittelschicht die den amerikanischen Imperialisten in die Hände spielt. Die „Boli-Bourgeoisie“ der staatlichen Bürokratie Venezuelas wird von diesen „Revolutionär* innen“ nicht im geringsten kritisiert und andere Länder wie z. B. China gar nicht als imperialistisch betrachtet. So haltet man sich an einen durch Militarismus, Nationalismus und Religion durchtränkten Staat, und inszeniert ebendiesen als „Revolutionär“ weil er sich rhetorisch gegen den US-Imperialismus wendet, obwohl diese Abgrenzung gegenüber den USA eher einem Antiamerikanismus gleichkommt. Auch was die Nationalisierung von Unternehmen angeht, scheinen viele in der Illusion zu baden, dass diese irgendetwas mit einem revolutionären Akt zu tun hätte und dass sie tatsächlich zur Überwindung der Warengesellschaft beitragen könnte, obwohl die Nationalisierung einer der ersten Schritte hin zu einem Staatskapitalismus ist. Es ist schon erstaunlich, aber zugleich auch beängstigend, wie schnell das Etikett „Sozialistisch“ viele dazu verleitet eine dogmatische und unkritische Haltung einzunehmen: als ob dass was eine Gesellschaft ausmacht nicht die tatsächlichen Herrschaftsverhältnisse innerhalb derselben sind, sondern dass was der Diskurs einer Regierung über sich selbst sagt. In diesem Sinne könnte sich man sogar fragen ob einige „Revolutionär* innen“ tatsächlich dem postmodernen Denken verfallen sind, der eben die Diskurse und nicht die materiell vorherrschenden Klassenverhältnisse als ausschlaggebend betrachtet.

Die spektakuläre Freiheit der Konsumenten, sich für eine bestimmte Ware zu entscheiden, hat sich schon lange auf die Spähre der bürgerlichen Politik ausgedehnt, wo die unterschiedlichen Parteien zwei Seiten derselben Medaille sind.

„Wo das konzentrierte Spektakuläre herrscht, da herrscht auch die Polizei.“

Gegen die Volksmacht

Sozialismus des XXI. Jahrhunderts: Die modernen Kostüme der Sozialdemokratie

Der hochgepriesene Sozialismus des 21. Jahrhunderts ist nichts anderes als die populistische Einheitsfront des 20. Jahrhunderts. Die alte und durchnässte sozialdemokratische Tracht bedient sich wieder am Bankett des Proletariats um Mut zu fassen, zum gegen die Rechten, den Neoliberalismus, den Imperialismus, die Faschisten, und die „Yankees“ zu kämpfen, oder um sich gegen diejenigen zu positionieren die im nächsten Sozialforum, Gegenforum oder am nächsten kulturellen Anlass, politisch als die neuen Feinde bestimmt werden. Dadurch versuchen sie eine ganzheitliche Konfrontation mit unserem Klassenfeind zu verhindern: der Weltbourgeoisie, egal wo, ob links oder rechts, die immer eine Vertreterin des Kapitals ist.

So mystifizieren heute, vor allem in Lateinamerika, progressive Regierungen strategisch bestimmte Sektoren der Bourgeoisie, sie preisen die einten während andere verteufelt werden. Eine ähnliche Strategie, die trotz der zeitlichen und geographischen Entfernung, in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, die kämpferischsten Sektoren des internationalen Proletariats liquidierte, besonders in der iberischen Region, wo Revolutionär* innen aus aller Welt anreisten, und die ihren Höhepunkt mit dem proletarischen Massaker, das Zweiter Weltkrieg genannt wird, erreichte. Die Errichtung von Pseudoantagonismen wie Faschismus / Antifaschismus dient der Weltbourgeoisie, denn es ist nicht neues, dass bestimmte Kräfte den Klassengegensatz ignorieren, um im nächsten Zug gegen diesen oder jenen Sektor der herrschenden Klasse zu kämpfen. Dieselben die uns dazu aufrufen die progressiven Kräfte der nationalen Bourgeoisie, der Antiimperialisten, der industriellen Bourgeoisie gegen „den Rückstand auf dem Land“ zu unterstützen, sind dieselben die uns zu anderen Zeiten aufrufen, gegen ebenjene Kräfte zu kämpfen. Sie werden es Strategie nennen, sie werden es Politik nennen … Es geht aber letztlich um den Fortschritt des Kapitals und sie sind seine Vertreter*innen. Die Aufrechterhaltung der kapitalistischen Ordnung mit ihrem Frieden und ihrem Krieg, basiert auf Desorientierung, basiert auf blinden Schlägen, basiert auf der Kanalisierung der proletarischen Kräfte in bürgerliche Projekte die sich als revolutionär verkleiden. Die Aufforderung, eine Volksmacht aufzubauen, gehört zu dieser Form der Desorientierung. Obwohl nicht alle Anhänger* innen der Volksmacht, Verfechter* innen des Sozialismus des XXI Jahrhunderts sind, und sogar größere Differenzen zwischen ebendiesen bestehen können, teilen beide Konzepte dasselbe ideologischen Grundgerüst. Wir beabsichtigen nicht, uns in die terminologischen und politischen Kämpfe einzumischen, vielmehr geht es uns darum, die Hauptmerkmale dieser zwei Perspektiven darzustellen. Die Aufforderung eine Volksmacht aufzubauen aus, egal ob vonseiten selbsternannter Kommunist*innen, Anarchist* innen oder sogar Chavistas, ist im Großen und Ganzen durch einen Mangel an Definition der Begriffe gekennzeichnet. Dies hat durchaus seine Logik, denn es geht hauptsächlich um die Notwendigkeit, so viele Sektoren der Gesellschaft wie nur möglich zu erfassen. Aus diesem Grund wird auf terminologische Tricks zurückgegriffen, die eine Bestimmung von Begriffen wie „Volk“, „Macht“, „Gegenmacht“, „Doppelherrschaft“, „Ergreifung der institutionellen Macht, die „Nicht-Machtergreifung“, „der Kampf außerhalb der Institutionen“, „die kritische Unterstützung für die Regierung“ usw. Verunmöglichen.

Die Volksmacht kann den Kampf für politischen Macht seitens der Bevölkerung bedeuten, oder das Wachstum populärer Organisationen, die sich den Kampf für die Reformen auf die Fahnen schreiben, bis sie genug Kraft haben, um den Wahlkampf zu gewinnen. Die Volksmacht kann bedeuten, Volksschulen, Genossenschaften oder selbstverwaltete Strukturen im Bereich der Gesundheit, Kommunikation und der Lebensmittelversorgung zu errichten. In den meisten Fällen werden solche Projekte vom Staat vorangetrieben, es gelingt ihnen nicht sich außerhalb des Staates zu bewegen und selbst in den «radikalsten» Fällen in denen die Strukturen in scheinbarer Unabhängigkeit vom Staat existieren, sind sie weit davon entfernt, die kapitalistische Ordnung zu durchbrechen, was bedeutet, dass sie nichts anderes tun, als den Kapitalismus zu verwalten. Aus diesem Grund sind sie auch Teil des Staates. In Venezuela wurde sogar das Wort „Volksmacht“ dem Namen jedes Ministeriums hinzugefügt, und als Chávez starb, wurde er von den Bourgeoisie bis zu

einigen «Libertären» die seine Regierung „kritisch unterstützten“ beweint. Aber der Chavismus und seine bürgerliche Opposition sind nicht mehr als zwei Formen der kapitalistischen Verwaltung, zwei Alternativen, um den Gang des Kapitals aufrechtzuerhalten.

Wir wollen nicht die Grenzen der Vorschläge der Regierung aufzeigen, sondern bekräftigen, dass ihre Projekte unter Ausnutzung unserer gegenwärtigen Klassenschwächen, die soziale Revolution als totalen Bruch ablehnen, um sie durch einen Prozess der Rekuperation in politische Reformen zu verwandeln, die danach streben, die bestehenden Institutionen und ihre Funktionen «dem Volk» zu übergeben. Dadurch wird der proletarische Charakter der Revolution verleugnet, und zugleich, dass die Bourgeoisie die Macht hat. Doch es geht darum, die Macht der Bourgeoisie zu zerstören, zu negieren, es geht darum eine ganzheitliche Revolution durchzusetzen, und zu verstehen, dass das Bedürfnis nach der Revolution nicht von einer abstrakten Idee herrührt, sondern von der Verallgemeinerung all unserer menschlichen Bedürfnisse und Wünsche. Es geht also nicht um eine amorphe Einheit und gestaffelte Forderungen die zu bloßen getrennten Reformen mutieren, die in verschiedene Kategorien klassifiziert werden, wie politische, ökonomische, kulturelle, ökologische, geschlechtsspezifische, unmittelbare, historische usw.

Der Reformismus dieser Tendenzen ist so evident, dass die jeweiligen Akteure in vielen Fällen nicht einmal von Revolution sprechen, sondern von sozialem Wandel, von Veränderungsprozessen. Aus diesem Reformismus, der alles getrennt voneinander betrachtet, ergibt sich wiederum die Erfindung von «neuen Subjekten des Wandels», die durch soziologischen Klassifikationen von Akademiker* innen und Politiker* innen definiert werden. Diese Klassifikationen dienen immer der Spaltung des Proletariats, in dem sie es isolieren und zwingen, sich der Bourgeoisie zu unterwerfen und die Ausbeutung aufrechterhalten. Sie sprechen von indigenen Völkern, Studenten, Frauen, Bauern, Arbeitslosen, Prekarisierten, Fachleuten, Mittelschicht, Intellektuellen, vom Volk … Kurz gesagt, von Bürgern, und wenn sie genau in diesen Kategorien ein Subjekt des Wandels suchen, dann weil sie gar nichts ändern wollen und noch viel weniger eine proletarische Revolution anstreben. Im Gegenteil, sie trachten nach der Zerstörung des Proletariats und seines Programms, indem sie Staat, Demokratie, ihre Rechte, bezahlte Arbeit und privates Eigentum zu unberührbaren Heiligtümer emporheben.

Die wenigen, die es wagen, von der Arbeiterklasse, vom Proletariat oder den Ausgebeuteten zu sprechen, tun dies im Namen einer Apologie der Lohnarbeit und fassen die Klasse als die Summe all der Subjekte oder populären Sektoren auf, die sich nach dem einten oder anderen politischen Projekt zusammenschließen sollten, um konkrete Lösungen für jeden einzelnen Sektor zu finden. Auch dies widerspiegelt nichts anderes als die sozialdemokratische Auffassung der Revolution als bloße Anhäufung von Reformen! Der bürgerliche Charakter dieser Projekte ist am offensichtlichsten, wenn sie versuchen, das Proletariat zu einem „Lateinamerikanismus“ zu bewegen, der nicht anderes als eine Summe von Nationalismen ist, er ist nichts anderes, als die Verteidigung der Interessen einer Reihe von bürgerlichen Kräften durch eine Reihe von Staaten. Jeder Staat ist imperialistisch, egal wie schwach seine nationale Wirtschaft ist oder ob seine Industrie rückständig ist. In den Kriegen des Kapitals, genauso wie auf dem Markt, stehen nur imperialistische bürgerliche Interessen auf dem Spiel und niemals die Interessen des Proletariats. Die ideologische Trennung zwischen der „ersten“ und der „dritten“ Welt oder den «entwickelten Ländern» und den Ländern „in Entwicklung» spielt die Proletarier gegeneinander aus, während zugleich die revolutionären Aufgaben verzerrt und zerstört werden. Die Auffassung des Etappismus, im Hinblick auf die Revolution, sagt uns, dass in Lateinamerika bürgerlich-demokratischen Aufgaben erfüllt werden müssen, sprich dass die nationale Industrie entwickelt werden muss, um die Demokratie zu stärken. Wieder die alte Geschichte der nationalen Befreiung, diesmal getragen durch die Wahlurnen und nicht durch die Waffen.

Die Kritik die wir an diesen Tendenzen formulieren ist so alt wie die Konfrontation zwischen Revolution und Konterrevolution. Obwohl bestimmte Sektoren sich als Neuheit des 21. Jahrhunderts darstellen, sind sie nichts anderes als der alte Reformismus mit einem neuen Gesicht, der im Namen der «Revolution» die Notwendigkeit derselben leugnet. Aber die Reform ist immer die Waffe der Feind* innen, der Ausbeuter* innen und der Unterdrücker*innen die sich gegen die Durchsetzung der Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse stellt. Die Revolution, sprich die Durchsetzung und Verallgemeinerung ebendieser Bedürfnisse, kann nicht durch Reformen verwirklicht werden, sie kann nicht durch die Verbesserung dieser Gesellschaft erreicht werden, die auf Ausbeutung beruht, und eine brutale Negation des Lebens zugunsten der Verwertung des Kapitals vorantreibt. Die Revolution kann einzig und allein durch die gewaltsame Zerstörung des Bestehenden aufblühen.

Die Reformen und Projekte, die die Volksmacht vorschlägt, sind nicht unvollständig oder auf halbem Weg stehen geblieben, vielmehr stehen sie einer revolutionären Perspektive diametral entgegengesetzt gegenüber! Denn sie sind Teil der Politik der Bourgeoisie, welche die revolutionäre Kraft des Proletariats versucht zu kanalisieren um sie in eine produktive Kraft des Kapitals zu verwandeln. Jede Verteidigung der nationalen Wirtschaft, ob sie nun sozialistisch ist oder nicht, ist die Verteidigung unserer Ausbeutung. Gegen bürgerliche Verwaltungsalternativen! Für die Zusammenschließung und Organisierung der proletarischen Kämpfe! Angesichts der kapitalistischen Katastrophe gibt es nur einen Weg um zu Leben: die revolutionäre Zerstörung der Lohnarbeit und der Welt der Waren.

PROLETARISCHE INTERNATIONALISTEN

(Photo: http://www.es.proletariosinternacionalistas.org/)

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